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  Der Dickkopf und das Peterlein ( 4 )
  Es war die letzte Rüstzeit des heiligen Abends. Schon wurden hier und dort, wo die Kinder noch klein waren und früh zu Bett sollten, die Lichter des Christbaumes angezündet, und wo der Kerzenglanz noch säumte, da lauschte er hinter der Gardinen, bis alles für ihn bereitet sei.
  In den Lebensmittelläden war ein hastiges Wesen. In einsilbiger Eilfertigkeit machten die Verkäufer ihre Sache ab, und die Kunden waren so ungeduldig wie die törichten Jungfrauen beim Ölkrämer. So verkrochen sich die letzten Zipfel des Werktages; sie konnten's kaum hurtig genug, denn sie schämten sich vor dem aufsteigenden Schimmer der heiligen Nacht.
 
  In dem Wurstladen auf dem Georgenplatz hielt der Werktag am längsten aus, und das Peterlein musste ihm dabei helfen. Es saß auf einem Bänkchen an dem großen Ladenfenster, hatte feine ernsthafte Amtsmiene aufgesetzt, und seine Augen folgten aufmerksam den Gebärden der Verkäuferin. In seinem Arm lehnte eine Stange mit eisernem Haken, und kaum hatte die Verkäuferin mit sanftem Augenaufschlag "Schwartenmagen!" oder "Schinkenwurst!" gesagt, so hatte das Peterlein das Verlangte von der Decke heruntergeholt und den dicken Wulst auf den Marmortisch gelegt.
 
  Endlich war die letzte Köchin draußen. "Gottlob!" sagte die Verkäuferin und ließ den Rollladen herunterschnurren.
  "Komm, Peterlein, jetzt sollst du dein Christkindchen haben."
  Sie führte den Knaben in das Nebenzimmer. Ein Weihnachtsbäumchen stand auf dem Tisch. Das Mädchen zündete einige Lichtchen an und sagte: "Hier die zehn Mark und das Zuckerbrot sind von der Herrschaft; die Strümpfe habe ich dir gestrickt. So, jetzt nimm alles zusammen und gehe flugs heim. Aber halt, den Schinken hast du noch zu besorgen zu Professor Persius in der Gartenstraße. Lass dir ihn gleich von der Köchin bezahlen!"
  Das Peterlein bedankte sich schön und steckte seine Gaben in die Taschen. Aber alsbald packte es die Strümpfe und das Zuckerbrot wieder aus und sagte: "Ich will lieber später meine Sachen holen, ich kann sonst nicht so schnell laufen. Können Sie mir nicht statt des Goldstücks zwei Fünfmarktaler geben?"
  Das Mädchen ging in den Laden hinaus und suchte in der Kasse, während das Peterlein die Strümpfe und das Zuckerbrot in einem Pack zusammenschnürte.
  "Hier sind zwei funkelnagelneue!" sagte das Mädchen und legte die Silberstücke auf den Tisch. Das Peterlein dankte, steckte die Münzen in die Tasche, nahm den Schinken unter den Arm und griff nach seiner Mütze. Aber unter der Türe wandte er sich um und sagte: "Fräulein Anna, darf ich den Weihnachtsbaum mitnehmen?"
  "Den Weihnachtsbaum? Den hat unser Fräulein für das ganze Personal gebracht. Aber die andern werden ihn nicht vermissen. Du bist der Jüngste. Nimm ihn nur und trag ihn heim, ich will's verantworten. Aber besorg' mir den Schinken heute noch!"
  "Vielen schönen Dank und vergnügte Feiertage!" sagte das Peterlein und gab dem Mädchen die Hand. Dann legte er sein Päcklein in den Fensterwinkel. "Morgen hol' ich's!"
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  Adolf Schmitthenner 1854 - 1907
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