Der Dickkopf und das Peterlein ( 7 )
"Dickkopf!" rief das Peterlein und rüttelte den Mann. Aber er
schlief und schlief.
"Dickkopf, lieber Dickkopf, so wach' doch auf!" jammerte der Knabe
und versuchte es, das schwere Haupt in die Höhe zu heben.
Da, endlich schlug der Dickkopf die Augen auf. Aber im nächsten Augenblick
sah er sich entsetzt um. Die Stube war voller Rauch, und draußen auf dem
Speicher schwirrte die Flamme.
Er sprang von seinem Sitz und eilte mit Peterlein zur Tür hinaus. Ein
großer Teil des Speichers war voller Feuer, doch war der Weg zur Stiege
noch frei. Hand in Hand sprangen sie darauf zu. Aber unterwegs fiel dem
Dickkopf sein Fünfmarkstück ein.
"Lauf!" keuchte er; "ich habe etwas vergessen."
"Ich bleibe bei dir!"
"Nein! Spring! Ich komme gleich nach."
Der Dickkopf eilte ins Zimmer zurück. Die Tür ließ er hinter
sich offen stehen. Er suchte auf dem Tisch, auf dem Boden; der Feuerschein vom
Speicher her leuchtete ihm dabei. Endlich im Fensterwinkel fand er sein
Weihnachtsgeschenk. Er eilte hinaus und sah, dass das Feuer bis an die Stiege
gelaufen war, auch von untern leckten schon die Flämmlein herauf. Das
Peterlein musste längst im Freien sein. So eilte der Dickkopf einer
anderen Stiege zu, die in den großen Vorderhof mündete.
Das Peterlein aber stand unten hinter der Tür, durch die es gekommen war.
Die Tür war in der Falle, und sie hatte keine Klinke.
Ach, wohl besaß sie eine Klinke, aber die war aus dem Schloss gefallen,
als der Wind die Tür hinter dem Peterlein zugeschlagen hatte, und jetzt
lag sie unten auf dem Boden dicht neben dem Türbrett. Das Peterlein in
seiner Todesangst dachte nicht daran, dass die Klinke unten liegen könne;
es dachte überhaupt nichts. Mit zitternden Händen griff es und griff
es; ja, hier war das Loch, hier war der eiserne Stift, es konnte ihn fassen mit
den Fingerspitzen, aber öffnen konnte es nicht. Da lief das arme Kind den
raucherfüllten Gang zurück, die Stiege hinauf über die
züngelnden Flammen hinweg in den schauerlich erleuchteten Speicher hinein,
und "Dickkopf!" Dickkopf!" rief es jammernd in den qualmenden
Rauch und in das tobende Feuer.
"Unkraut verdirbt nicht, der Dickkopf ist da," sagten draußen
die Löschenden zueinander. "Es wohnt kein anderer Mensch drinnen.
Lasset den alten Kasten verbrennen!"
Und sie richteten die Schläuche auf die umliegenden Gebäude.
"Dort ist jemand!" rief plötzlich eine helle Kinderstimme.
"Oben am Fenster."
Hundert Augen richteten sich in die Höhe. Es war nichts zu sehen als der
flackernde Schein.
"Ein Mensch!" schrie ein Feuerwehrmann.
Jetzt hatten es die hundert Augen gesehen. "Es ist ein Knabe, er ist am
Fenster vorbeigelaufen."
"Das Peterlein ist's!" rief eine Kinderstimme.
Es wurde todesstill unter den Männern, aber nur für einen Augenblick:
dann gellten die Signale, und die Wasserstrahlen zielten nach jener Stelle hin.
Die auflodernden Flammen spotteten des ohnmächtigen Taus. Man legte eine
Leiter an, aber das durchglühte Gebälk zerbrach unter ihrer Last.
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Adolf Schmitthenner 1854 - 1907
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