Die Geschichte vom Tannenbäumchen ( 4 )
Wenn der Winter kommt und Schnee und Eis auf der Erde liegt und all die
Bäume hier kahl und entlaubt stehen, dann sollst Du süßere und
buntere Früchte tragen als Kirschen, Birnen und Äpfel und die Kinder
werden sich mehr über Dich freuen und Dich lieber haben, als alle andern
Bäume auf der Welt!"
Nachdem das Christkind dies gesagt, war es gerade so schnell wieder
verschwunden, als es gekommen und nur der liebe alte Mond warf noch goldne
Strahlen auf die stille Welt.
So vergingen Sommer und Herbst, die Bäume hatten nach und nach all ihre
Früchte hergegeben und der Winter kam mit raschen Schritten heran. Wohl
hatten sie noch manchmal das Tannenbäumchen ausgespottet, aber es machte
sich nichts mehr daraus und dachte immer nur an das, was Christkindlein ihm
versprochen hatte. Bald war an dem Apfel- und Birnbaum kein Blättchen mehr
zu sehen, die Eichen und Buchen streckten ihre nackten Arme zum Himmel empor
und froren erbärmlich, aber es half nichts - es war eben Winter und sie
mussten sich von dem kalten Nordwind nach allen Seiten hin und her zausen
lassen. Unser Tannenbäumchen hielt sich wacker, es blieb so grün und
frisch wie im Sommer und wartete in Geduld bis seine Zeit käme.
Auf einmal, in einer langen, dunklen Nacht, da ward es wieder ganz hell und
licht und der schöne Engel stand wieder neben dem Bäumchen und sagte:
"Ich bin da, um mein Wort zu halten. Nun sollst Du einmal sehen!"
Neben dem Christkind im Schatten stand Nikolaus, der hielt seinen großen
Sack mit beiden Händen auseinander und Christkind griff hinein und wieder
hinein und überschüttete das Bäumchen mit goldenen Nüssen
und Äpfeln, mit köstlichem Zuckerwerk, mit Rosinen und Mandeln, mit
funkelnden Perlen und silbernen Sternen, so dass es schöner und bunter
glänzte und prangte, als je ein Baum zuvor.
Dann steckte der Nikolaus brennende Kerzchen an die Zweige der Tanne, da
leuchtete sie fast so hell wie die Sternlein an dem dunklen Nachthimmel
über sie. Wie nun Alles fertig war, klingelte Christkind laut und lange
mit seiner silbernen Schelle, dass alle Bäume und Sträucher rings
umher aufwachten, sich verwundert umsahen und nicht wussten, woher auf ein mal
all der Glanz und die Pracht kam.
"Seht hierher, Ihr Necker und Spötter!" rief nun das Christkind
mit lauter Stimme, "der herrlich geschmückte Baum vor euch, das ist
das Tannenbäumchen, welches Ihr ausgespottet und gekränkt habt und
das nun schöner ist, als je einer von euch gewesen. Jetzt nehme ich es mit
mir, wohin Ihr niemals kommt, in warme, geschmückte, helle Stuben und zu
fröhlichen Menschen. Alt und Jung wird sich an seinem Anblick erfreuen und
die Kinder werden es am liebsten von allen Bäumen haben!" Damit nahm
Christkindchen das Bäumchen in die Hand, breitete seine Flügel aus
und fort war es, ehe sich die erstaunten Bäume ein wenig von ihrer
Verwunderung erholen konnten. Ganz verdutzt blickten sie dem hellen Streifen
nach, bis er im Dunkel entschwand und nickten dann verdrossen und
kopfschüttelnd wieder ein. Wohin aber Christkind das Tannenbäumchen
trug, das brauche ich Euch nicht zu sagen, das wissen alle artigen Kinder, die
zu Weihnachten eines von ihm bekommen. Nun esset Ihr zwar gern frische Kirschen
und süße Birnen gebratne Äpfel und Pflaumenmus, wenn ich Euch
aber jetzt frage, welcher Baum ist Euch der liebste von allen, was werdet Ihr
sagen?"
Da riefen Georg und Mathildchen jubelnd und wie aus einem Munde und alle Kinder
rufen es mit ihnen: "Das Tannenbäumchen! das
Tannenbäumchen!"
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Luise Büchner 1821 - 1877
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