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  Die Legende von dem Zaunkönig und der Zaunkönigin ( 4 )
  Die Menschen wissen vielleicht nicht einmal, dass es kommt. Wir aber wissen es, und Schande über uns, wenn wir seine Wohnung nicht bereiten."
  Nun konnte Zaun nicht mehr widersprechen, und noch in derselben Nacht begannen die beiden Vöglein, den Stall zu reinigen. Hui, war das ein Leben und eine Bewegung! Der König flatterte umher und schlug mit seinen Flügeln den Staub von den Wänden, fegte die Spinngewebe fort und jagte hinter den langbeinigen Spinnen her. Hui, wie die aber Beine machen konnten! Und in die tiefsten Winkel und Ritzen verkrochen sie sich, ebenso die abscheulichen Tausendfüssler und die rauborstigen Käfer. Aber es half ihnen nichts. Der König spürte alles auf, was zu dem schmutzigen Gelichter gehörte, und dann hieß es "Hinaus damit!" Es durfte keine Gnade geübt werden, wenn der Stall zum Empfange des Gotteskindes recht sauber und freundlich aussehen sollte.
  Indessen reinigte die Königin die Krippe und trug duftiges Heu und frische Blättchen hinein, wobei sie ihrem Gemahl erklärte: "Weil wir keine Wiege haben, wird die heilige Mutter das Kindlein wohl in diese Krippe betten müssen."
  "Das Gotteskindlein in einer Krippe?" verwunderte sich Zaun.
  "Ich sage es dir, und wir wollen sehen, wer Recht behält."
  So unterhielten sich die Vögelchen, wobei sie das Arbeiten nicht vergaßen, und nach einigen Tagen war der Stall so sauber und sah so freundlich aus, - nun, wie eben ein armer Stall aussehen kann. Denn zum Palaste konnten ihn die fleißigen Vögel nicht machen.
  Und wieder kam eine wunderschöne, klare Winternacht. Die Sterne glänzten so feierlich am dunkelblauen Himmel, und durch die Lüfte ging ein Singen und Klingen, als ob die Erde lebendig geworden sei und sich freue auf die Ankunft des Erlösers. Und wieder wurden die Zaunkönige durch ein sonderbares Geräusch geweckt. Und als sie die Augen aufschlugen, - o Himmel! - da lag zu ihren Füßen ein süßes Kindlein, und vor ihm knieten eine stille, wunderbare Frau und ein ernster Mann, dem das Glück aus den Augen leuchtete. Und wirklich - die Zaunkönigin hatte recht behalten, - das Kindlein lag auf dem duftigen Heu der Krippe. Und durch alle Ritzen und Fugen schauten Engel herein und sangen gar wundersüße Lieder, dass es den Zaunkönig froh und frei ums Herz wurde. Sie waren ganz dicht zur Krippe geflogen, und die heilige Jungfrau verscheuchte sie nicht. Und nun öffnete das Christkindlein die Augen und sah die Vögel an mit dankbaren Blicken. Da fühlten diese, wie sich in ihren Kehlen etwas löste, und sie öffneten die Schnäbelein und fielen mit schmetternder Stimme ein in den Gesang der himmlischen Heerscharen.
  Das war Zaunkönigs Weihnachten. Und von Stund' an konnten sie singen und jubilieren mitten in der ärgsten Winterzeit, wenn alle andern Vögel stumm sind, weil sie die Wohnung des Gotteskind bereitet hatten."
  Großmutter schwieg. Noch eine ganze Weile saßen die Kinder mäuschenstill da, dann aber kamen gleich ein Dutzend Fragen auf einmal. Großmutter wusste auf jede eine Antwort, und als sie Karl mit dem Finger auf die Jacke tupfte, da, wo sein Herz saß, und sagte: "Da ist auch ein Kripplein, ihr haltet es doch alle drei wie die Zaunkönige: Heraus mit allem Hässlichen!" nickten die drei Kinder ernsthaft, sie merkten, was Großmutter sagen wollte.
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  Hedwig Dransfeld 1871 - 1925
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